Praxisnah, patentiert und ausgezeichnet
Wie ein Cottbuser Logistiker den Lkw-Alltag komfortabler, sparsamer und klimafreundlicher macht – und warum die Branche jetzt genau hinschaut
Von Jörg Tudyka
Die Innovation: Ein Lausitzer Patent, das ein altes Logistikproblem löst
Wer mit Fernverkehr zu tun hat, kennt das Grundproblem: Ruhezeit heißt Standzeit – Standzeit heißt Strommangel. Nach wenigen Stunden schalten moderne Lkw aus Selbstschutz Kühlschrank, Klimaanlage, Standheizung und weitere Verbraucher ab. Die Batterie soll schließlich genug Kraft haben, den Motor zuverlässig zu starten. Für Fahrer bedeutet das: Schweiß, Kälte, schlechte Luft, unterbrochener Schlaf. Für Unternehmen: Mehr Dieselverbrauch, mehr CO₂, höhere Kosten, mehr Konflikte mit Auflagen. Alexander Gucz, Inhaber von Negus Transporte aus Cottbus – früher selbst Fernfahrer – hat das nicht akzeptiert. Seine simple Frage: „Warum lassen wir den großen Lkw-Motor laufen, wenn nebenan der kleinere Motor der Kühlmaschine ohnehin aktiv ist?“ Aus dieser Frage wurde eine Lösung, aus der Lösung wurde ein Patent.
Der Negus Comfort Booster – ein technischer Kniff mit großer Wirkung
Die Idee: Der Lkw nutzt im Stand einfach die Energie des ohnehin laufenden Kühlaggregats. Eine intelligente Schaltungsanordnung überträgt diese Energie auf die Bordversorgung – ohne Eingriff in die bestehende Fahrzeugtechnik.
Der Effekt im Alltag:
- Standklima, Heizung, Kühlschrank, Elektronik laufen zuverlässig weiter.
- Die Kabine bleibt nutzbar wie eine kleine Wohnung, auch nach acht, neun, zehn Stunden Ruhezeit.
- Der Motor bleibt aus.
- Lärm und Dieselverbrauch sinken spürbar.
Die Kosten: rund 2.500 Euro pro Fahrzeug. Der Nutzen: deutlich höher – wirtschaftlich, ökologisch und menschlich.
Patent angemeldet – und bereits im Förderkatalog des Bundes
Der Booster ist unter dem Titel „Schaltungsanordnung zwischen einem Kühl-Koffer-Auflieger und der dazugehörigen Zugmaschine“ zum Patent angemeldet und bereits im Maßnahmenkatalog des Bundesamts für Logistik und Mobilität (BALM) gelistet.
Für viele Partner – von Kühltechnikherstellern bis zu regionalen Werkstätten – ist klar:
Diese Lösung ist nicht nur clever, sie ist skalierbar.
„In seiner Einfachheit genial“
So nennt es Ralf Binnenbruck, technischer Geschäftsführer von Framo – ein Unternehmen, das elektrisch betriebene Nutzfahrzeuge entwickelt: „Warum die großen Hersteller nicht darauf gekommen sind? Vielleicht weil die einen Zugmaschinen bauen und die anderen Kühlauflieger – und keiner miteinander redet. Negus hat einfach gemacht.“
Gucz selbst bleibt pragmatisch: „Unsere Fahrer schlafen besser. Unsere Lkws verbrauchen weniger Diesel. Und wir reduzieren CO₂. Mehr wollte ich am Anfang gar nicht.“
Dass daraus eine bundesweit beachtete Innovation wird, konnte er damals nicht ahnen.
Die Auszeichnung: Finalist beim Eco Performance Award 2025
Der nächste große Schritt kam im Herbst 2025: Negus Transporte wurde beim Eco Performance Award in Berlin als Finalist ausgezeichnet – einem der wichtigsten Nachhaltigkeitspreise für die europäische Logistik. Verliehen wird er im Rahmen des DEKRA Zukunftskongresses Nutzfahrzeuge, bei dem sich Branchenvertreter, Hersteller, Wissenschaft und Politik austauschen.
Warum Negus auffiel:
- Sofort messbarer Nutzen
- Ein klarer Beitrag zur Reduzierung von CO₂
- Eine Lösung, die in jeden Fuhrpark integrierbar ist
- Eine Idee, die aus der Praxis für die Praxis kommt
Die Jury würdigte insbesondere den Ansatz, ein reales Problem des Berufsalltags zu lösen – und dabei Klimaeffekte mitzuerzeugen, die weit über den Fahrerkabinen hinausreichen. Bis zu 2,7 Tonnen CO₂ pro Fahrzeug und Jahr sind realistisch – allein durch den Verzicht auf unnötigen Leerlauf. Gucz formulierte es bei der Verleihung schlicht: „Innovation muss nicht groß oder teuer sein. Sie muss echte Probleme lösen.“ Damit setzte die Lausitz ein Zeichen mitten im Berliner Regierungsviertel: Der Mittelstand kann Innovation – und er kann Transformation beschleunigen.
Die Messung: Ein unabhängiger Test bringt klare Zahlen – und ein Professor ordnet ein
Um das Potenzial nachvollziehbar zu machen, ließ Negus den Verbrauch eines modernen Lkw im Stand unter realen Bedingungen messen. Nicht per Bordcomputer – sondern über die exakte Gewichtsmessung des Kraftstoffs.
Das Setup:
- 3 Stunden Standbetrieb
- Startmenge: 15 kg Diesel
- Endmenge: 11,1 kg Diesel
- Verbrauch: 3,9 kg in drei Stunden → rund 1,6 – 2,0 Liter pro Stunde
Das sind genau die Werte, die Lkw im Stand benötigen, nur um die Kabine funktionsfähig zu halten. Dazu kommt ein zweites Thema: Lärm. Zwei Motoren – Kühlaggregat und Lkw – überschreiten laut Gucz klar die Grenzen der TA Lärm und des Landesimmissionsschutzgesetzes. Das kann teuer werden, aber vor allem: Es macht Schlaf nahezu unmöglich.
Wissenschaftliche Begleitung durch die BTU Cottbus-Senftenberg
Der Versuchsaufbau und die Ergebnisse wurden von Prof. Sylvio Simon, Professur Werkzeugmaschinen, begleitet. Ein Gespräch mit ihm zeigt, wie sehr die Branche das Thema unterschätzt hat.
Interview (Auszug) mit Prof. Sylvio Simon
Warum sind Sie bei dieser Messung dabei?
„Wir erfassen heute den Standverbrauch eines Lkws – eines Verbrauchs, der künftig hoffentlich gar nicht mehr nötig ist.“
Warum nicht nötig?
„Weil das Kühlaggregat den Strom liefern kann, der im Stand fehlt. Negus nutzt Energie, die ohnehin erzeugt wird. Das ist technisch logisch und sofort nachvollziehbar.“
Wie bewerten Sie das System?
„Der Lkw-Motor braucht im Stand 1,6 bis 2 Liter Diesel pro Stunde. Der Motor der Kühlmaschine ist viel kleiner – und verbraucht für die zusätzliche elektrische Leistung vielleicht einen halben Liter. Die Einsparung ist also erheblich.“
Was bedeutet das für Fahrer?
„Ich hatte vorher keine Vorstellung, wie hart Ruhezeiten im Lkw wirklich sind. Die Lebensbedingungen der Fahrer sind der Bevölkerung kaum bewusst. Das System verbessert Schlafqualität und Sicherheit.“
Überrascht es Sie, dass große Hersteller nicht längst auf diese Idee gekommen sind?
„Der Markt ist fragmentiert: Zugmaschinenbauer, Aufliegerbauer, Kühlspezialisten. Interessen und Zuständigkeiten liegen weit auseinander. Da geht manchmal der Blick für das Offensichtliche verloren.“
Braucht es solche Lösungen langfristig?
„Eigentlich wäre eine massive Elektrifizierung der Parkplätze die beste Lösung. Aber davon sind wir ein Jahrzehnt entfernt. Bis dahin ist der Booster eine sehr sinnvolle Zwischenlösung.“
Fazit: Eine Lausitzer Lösung mit internationalem Potenzial
Der Negus Comfort Booster ist:
- eine praxisnahe Innovation, die dort ansetzt, wo tagtäglich Energie verschwendet wird,
- ein messbarer Klimaschutzbaustein,
- ein Beitrag zu besseren Arbeitsbedingungen,
- ein Beispiel, wie Mittelstandstechnologie aus der Lausitz bundesweit Wirkung entfalten kann.
Und: Die Zusammenarbeit zwischen Negus, der BTU Cottbus-Senftenberg, Werkstätten in Brandenburg und Partnern wie Framo zeigt, wie Transformation in der Lausitz funktioniert, wenn Praxis, Technik und Mut zum Machen zusammenkommen.
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